Viele Juden in Hamburg haben antisemitische Vorfälle erlebt. Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank: „Antisemitismus ist Verletzung der Menschenwürde“. Polizei kommt an die Grenzen des Schutzes von jüdischen Menschen.
Deutschlandweit erstmalig untersucht eine Hamburger Studie Antisemitismus aus der Betroffenenperspektive. Indem sie den Fokus auf die jüdische Wahrnehmung von Antisemitismus setzt, schließt die Studie „Jüdisches Leben und Alltag in Hamburg“ eine wichtige Lücke in der bisherigen Forschung zu diesem Thema. Wie weit ist Antisemitismus in Hamburg verbreitet und wie bedroht fühlen sich Jüdinnen und Juden in ihrem Alltag?
Nicht jede Beschimpfung oder Bedrohung wird angezeigt und landet so zum Beispiel in der Kriminalstatistik. Es gibt in vielen Bereichen auch ein Dunkelfeld. Und beim Antisemitismus sollte dieses Dunkelfeld im Auftrag der Hamburger Wissenschaftsbehörde aufgehellt werden.
Die Studie, die kurz nach dem Massaker der HAMAS in Israel begann, ist als Kooperationsprojekt der Akademie der Polizei Hamburg, der Polizeiakademie Niedersachsen, der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und der Gleichstellungsbehörde auf Initiative des Antisemitismusbeauftragten erarbeitet worden.
Vorgestern (15.7.2024) wurden ihre Ergebnisse in den Räumen der Jüdischen Gemeinde in Hamburg von Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank und den Forschenden Prof. Eva Groß und Prof. Joachim Häfele vorgestellt, gemeinsam mit Polizeipräsident Falk Schnabel, dem Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel und dem 1. Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Philipp Stricharz vorgestellt. Einen breiten Raum nahm dabei das derzeitige Palästina/HAMAS-Protestcamp auf der Moorweide am Dammtorbahnhof ein, was die jüdische Einwohnerschaft stark verunsichere.
Im Rahmen einer schriftlichen Befragung von Jüdinnen und Juden in Hamburg im Zeitraum 13. November 2023 bis 7. Februar 2024 konnten wichtige Erkenntnisse zum Leben und Alltag Hamburger Jüdinnen und Juden sowie zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus und den Folgen antisemitischer Diskriminierung gewonnen werden. Insgesamt nahmen 548 Jüdinnen und Juden an der anonymen Befragung teil.
Die Studie zeigt, dass 77 Prozent, also etwa drei von vier der befragten Jüdinnen und Juden, in den vergangenen zwölf Monaten von antisemitischen Vorfällen betroffen waren. Etwa 55 Prozent der Befragten sind laut Studie von strafrechtlich relevanten antisemitischen Vorfällen betroffen. Dabei werden Beleidigungen und Bedrohungen online und auch außerhalb des Internets häufiger angegeben als körperliche Übergriffe, Belästigung oder Verfolgung. Etwa 76 Prozent der Befragten erlebten die Vorfälle in Hamburg. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die von antisemitischen Vorfällen berichten, zeigt diese nicht an. Mehr als die Hälfte der Befragten (65 Prozent), die eine antisemitische Diskriminierung erlebt haben, führen diese auf die aktuelle Krisensituation in Israel und Gaza zurück.
Als direkte Folge dieser Antisemitismuserfahrungen geben laut Studie 89 Prozent der Betroffenen an, die eigene Religion nicht frei ausüben zu können. Ein Großteil vermeidet es, die eigene jüdische Identität öffentlich sichtbar zu machen. Zu den indirekten Folgen zählt die Studie zudem ein nachlassendes Vertrauen in öffentliche Institutionen wie Polizei, Gerichte, Stadtverwaltung und Bundesregierung. Auf Frage der ASW Nord zeige die Studie sehr deutlich, dass viele jüdische Bewohner Hamburgs eine Flucht aus Deutschland in Betracht ziehen.
Doch warum kommt es zu solchen Fällen von antisemitischer Diskriminierung? Knapp 60 Prozent der Betroffenen sagen, es liege an der aktuellen Situation in Israel und Gaza. Für viele jüdische Menschen in Hamburg hat das im Alltag Konsequenzen. Denn ein großer Teil vermeidet es laut der Umfrage inzwischen, seine jüdische Identität auch öffentlich zu zeigen.
Bericht zur Dunkelfeldstudie jüdisches Leben in Hamburg
Bild: ASW Nord v.l.n.r.: Prof. Groß, Prof. Häfele, Polizeipräsident Schnabel, Senatorin Fegebank, Philipp Stricharz, Stefan Hensel. Link zur Studie:
https://ddatabox.dataport.de/public/download-shares/rviAG1EytoeXUsPItU0CFhNhvokbNdKh